Viele meiner Kund*innen fragen mich als Texterin: Sollen wir gendern oder nicht? Mit „wir“ ist dann meistens die gesamte Kommunikation des Unternehmens gemeint, die Außendarstellung gegenüber der Kundschaft.
Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, finde ich. Denn ich werde ja nicht einfach nach meiner persönlichen Meinung zum Gendern gefragt. Die ist sehr klar: Ich finde das Gendern in der Sprache richtig und wichtig.
Vielmehr drückt die Frage nach dem Gendern oder nicht eine Sorge aus. Die Sorge nämlich, die Kundschaft bei diesem sehr kontroversen Thema zu verärgern und womöglich zu verlieren. Bei solchen Beratungsgesprächen schaue ich deshalb genauer hin. Worauf es meines Erachtens bei der Entscheidung ankommt, verrate ich in diesem Blog-Beitrag.
Warum überhaupt gendern?
Wenn ich als Sprachexpertin um eine Einschätzung zum Gendern gebeten werde, dann geschieht das meistens von Leuten, die eine inklusive Sprache nicht grundsätzlich ablehnen und Sprachwandel ein gewisses Maß an Offenheit entgegenbringen. Manche wollen aber auch wissen, ob es sich um eine Modeerscheinung handelt, die vielleicht auf wieder vergeht. Nun habe ich keine Glaskugel und kann nur spekulieren. Ich tue das aber mutig und sage: Ich glaube, das Gendern wird bleiben und sich durchsetzen.
Ich finde das auch gut, denn unser Denken geschieht stets in Sprache. Wie wir sprechen, beeinflusst unser Denken und umgekehrt. Wenn wir uns also bemühen, in der Sprache allen Menschen mehr Sichtbarkeit zu verleihen, dann geben wir der Vielfalt der Menschen auch in unserem Denken mehr Raum. Vielfalt anzuerkennen ist für mich gelebte Toleranz. Und ich möchte sehr gern in einer toleranten Welt leben, in der Menschen sie selbst sein dürfen. Das in aller Kürze, warum Gendern meines Erachtens wichtig ist.
Gendern oder nicht?
Wenn mich Unternehmen bezüglich des Genderns um Rat fragen, wäge ich genau ab. Um meine Privatmeinung geht es ja nicht. Vielmehr versuche ich herauszufinden, wie es um die Chancen und Risiken bestellt ist. Denn hinter der Frage nach einem Sprachkodex für das Unternehmen steht die Frage: Verlieren wir eventuell Kundschaft und damit Umsatz?
Das kann übrigens in beide Richtungen geschehen! Wenn ein Unternehmen beschließt zu gendern und die Kundschaft lehnt das Gendern mehrheitlich ab, könnte es diese Menschen verlieren. Wenn ein Unternehmen beschließt zu gendern, könnte es aber auch neue Kundschaft anziehen, die sich dadurch repräsentiert fühlt. Wenn ein Unternehmen beschließt, nicht zu gendern, könnte es Kundschaft verlieren, die das unangemessen findet. Sie sehen also: Die Frage nach dem Gendern oder nicht ist gar nicht so leicht zu beantworten.
Die Werte kennen
Meine erste Frage gilt daher den Werten des Unternehmens. Um gutes Marketing machen zu können, sollten die ohnehin klar sein. Manchmal gehört der Einsatz für eine bessere, sozialere und friedlichere Welt zur DNA eines Unternehmens. Sie sind sozusagen Kerngeschäft. Der Versorger Green Planet Energy – aus der Umweltorganisation Greenpeace hervorgegangen – ist ein Beispiel dafür. Hier hat man sich für das Gendern entschieden, weil es zum Leitbild passt. Übrigens wurde ich hier nicht um Rat gefragt und es ist auch kein Kunde von mir. Nur falls Zweifel entstehen sollten. 😉
Wie aber sieht es bei Unternehmen aus, die ein ganz anderes Kerngeschäft haben? Bei denen der Unternehmenszweck nichts mit Gendern, sozialem Miteinander oder dem Weltfrieden zu tun hat? Schraubenhersteller, Banken, Restaurantketten, Supermärkte? Da liegt der Zusammenhang nicht so sehr auf der Hand.
Das heißt aber nicht, dass es hier keine Werte gibt. Die Supermarktkette Rewe (ebenfalls nicht Kundin von mir) gendert zum Beispiel. Der Einzelhändler wirbt sogar mit Regenbogenfahnen für Vielfalt. Diversity wird hier breit verstanden: Herkunft, Geschlecht, Alter, Religion – alles hat seinen Platz und die Unterschiede werden nebeneinander zugelassen. Hier hat man entschieden: Das Gendern passt zu den Werten des Unternehmens. Dieser Weg wird ziemlich offensiv beschritten.
Mein Rat an Unternehmen also: Untersuchen Sie Ihre Werte. Passt inklusive Sprache dazu? Dann entscheiden Sie das erste Mal über Gendern oder nicht.
Die Kundschaft kennen
Oben habe ich geschrieben: Sie entscheiden das erste Mal über Gendern oder nicht. Manchen Unternehmen genügt die erste Entscheidung. Der Kundschaft wird eine Entscheidung vorgesetzt und die soll sie nun schlucken.
Ich habe sehr viel Verständnis dafür, wenn nicht alle Unternehmen so mutig sind. Viele wollen weniger Risiko. Menschen, die mich häufig um Rat fragen, arbeiten bei Non-Profit Organisations (NPO). Solche Vereine und Initiativen sind nicht immer groß und fast immer sind sie auf Spendengelder angewiesen. Das Publikum zu verärgern kann hier in doppelter Hinsicht fatal sein: Zum einen gefährdet es das Überleben der Initiative. Zum anderen können mit weniger Spendengeldern die wohltätigen Ziele nicht erreicht werden.
Hier finde ich es wichtig zu erfahren, wie die Kundschaft beziehungsweise das Spendenpublikum tickt. Was sind das für Menschen? Wie leben sie? Was ist ihnen wichtig und welche Überzeugungen haben sie? Gut arbeitende NPOs kennen ihre Spender*innen meist recht gut. Da gilt es also vor allem, Informationen zusammenzutragen und in neue Zusammenhänge zu setzen.
Schön, wenn die Antwort eindeutig ausfällt. Dann können Sie hier zum zweiten Mal entscheiden, ob Sie gendern oder nicht.
Gespräch als Chance
Oft ist die Antwort aber dennoch nicht leicht. Viele NPOs würden gern gendern, haben aber eher konservativ gesinnte Geldgeber*innen. Hier rate ich, den Dialog als Chance zu nutzen. Wenn Ihr Unternehmen bei der ersten Entscheidung zu einem Ja fürs Gendern gelangt ist. Bei der zweiten Entscheidung aber ein Nein zum Gendern steht. Dann könnten Sie in den Dialog eintreten. Sie könnten zum Beispiel Ihre Werte noch einmal deutlich kommunizieren und erklären, warum für Sie das Gendern dazugehört. Dann könnten Sie Ihre Sorge äußern, dass dies Missfallen erregen könnte. Und dann könnten Sie eine Umfrage starten und zur Mithilfe aufrufen. Dann entscheiden Sie gemeinsam mit Ihrem Publikum über das Gendern. Mehr Wertschätzung können Sie kaum ausdrücken.
Konkret werden
Wichtig bei solchen Publikumsvotings ist, dass sie sehr klar und eindeutig in der Fragestellung sind. Meine Erfahrung: Gendern wird häufig missverstanden und auf den Stern reduziert. Ich empfehle daher eher eine Abfrage über bestimmte Formulierungen beispielsweise bei der Anrede im persönlichen Brief mit Auswahlmöglichkeiten. Manche Formen des Genderns werden ja gar nicht als solche erkannt. Kompromisse sind also oft möglich.
Übrigens: Ich gebe auch Workshops zum Thema Gendern. Darin gehe ich auf viele verschiedene Gender-Strategien und ihre Vor- und Nachteile ein. Ich untersuche aber auch die Debatte und die populärsten Argumente für und gegen das Gendern auf ihre Stichhaltigkeit. Schauen Sie doch vorbei! Der nächste Termin ist im August. Vielleicht bekommen Sie ja sogar noch einen Early-Bird-Rabatt.
Welche Faktoren beeinflussen Ihre Entscheidung über das Gendern? Verraten Sie es mir im Kommentar!