Oft werde ich in meinen Workshops gefragt: „Kann ich in Leichter Sprache gendern? Geht das überhaupt?“ Eine berechtigte Frage, die ich hier beantworten will. Dazu habe ich auch bei Silke Gummersbach nachgefragt. Sie leitet die Agentur für Leichte Sprache bei der Lebenshilfe Bonn.
Wenn Sie diesen Artikel lesen, kennen Sie sich womöglich schon gut mit Leichter Sprache aus. Falls nicht, empfehle ich Ihnen meinen Artikel zum Unterschied zwischen Leichter und Einfacher Sprache. So oder so ist das Gendern wichtig und die Leichte Sprache gewinnt zum Glück auch immer mehr an Bedeutung. Deshalb möchte ich kurz erklären, worauf es bei Leichter Sprache ankommt. Denn das hilft uns zu beurteilen, ob das Gendern hier gut umgesetzt werden kann.
4 Zielgruppen für Leichte Sprache
Leichte Sprache richtet sich an Personen, die nicht gut lesen oder Deutsch sprechen können, an Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Demenz. Das sind die vier wichtigsten Zielgruppen:
- Menschen mit Lernschwierigkeiten
- Menschen, die nicht gut lesen können
- Menschen, die nicht gut Deutsch sprechen
- Menschen mit Demenz
6 wichtige Regeln für Leichte Sprache
Damit die Zielgruppe die Texte gut versteht, wurden Regeln für Leichte Sprache entwickelt. Dazu gehört es, dass die Wörter und Sätze kurz sind und insgesamt einfache Wörter verwendet werden. Auch optisch werden Hilfsmittel benutzt. So steht oft nur ein Satz in einer Zeile, der Zeilenabstand und die Schriftart sind größer und der Text wird zusätzlich bebildert. Hier die sechs wichtigsten Regeln auf einen Blick:
- Einfache und kurze Wörter
- Längere Wörter koppeln
- Kurze Sätze
- Keine Fremdwörter
- Keine Abkürzungen oder Sonderzeichen
- Keine bildliche Sprache, Metaphern oder Redewendungen
Gendern mit Stern, Doppelpunkt & Co.
Schauen wir nun, welche Gender-Strategien für die Leichte Sprache geeignet sind oder nicht. Wir beginnen mit den Sonderzeichen. Wie sieht es aus mit Gender-Stern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt? Können wir damit in Leichter Sprache gendern? Damit die Antwort anschaulicher wird, liste ich die Varianten mit einem Beispiel auf:
- Betreuer*innen
- Betreuer:innen
- Betreuer_innen
- Betreuer·innen
In der Leichten Sprache ist es erlaubt, längere Wörter zu trennen, damit sie besser lesbar sind. Die Rechtschreibregeln dürfen also etwas gebogen werden. Das wird entweder mit dem Bindestrich umgesetzt oder aber mit dem Mediopunkt.
Und hier sehen wir auch schon das Problem: Der Mediopunkt scheidet in der Leichten Sprache für das Gendern aus, denn er ist schon besetzt.
Was die anderen Sonderzeichen angeht, sagt Silke Gummersbach von der Agentur für Leichte Sprache der Lebenshilfe Bonn ganz klar: „Wir arbeiten nicht mit dem Sternchen.“ Der Grund: Die Sonderzeichen irritieren beim Lesen und werden nicht verstanden. Ähnlich wie beim Gender-Stern dürfte das also auch bei Doppelpunkt und Gender-Gap der Fall sein.
Auf der Website von „Genderleicht“ sieht man das etwas anders: Hier wird empfohlen, nicht gänzlich auf den Gender-Stern zu verzichten, sondern diesen einzuführen. Ein Beispiel für so eine Erklärung in Leichter Sprache wird auch mitgeliefert:
Geschlechtergerechte Sprache heißt:
Alle Geschlechter kommen in der Sprache vor.
Nicht nur Männer und Frauen. Auch andere Menschen.
Man hat deswegen in schwerer Sprache Zeichen erfunden.
Zum Beispiel den Gender-Stern:
Politiker*in
Gender-Stern spricht man so: Tschender-Stern.
Mit dem Gender-Stern sagt man:
Alle gehören dazu:
– Männer
– Frauen
– Andere Geschlechter
genderleicht.de
Aus meiner eigenen Erfahrung sehe ich es allerdings eher wie Silke Gummersbach und bin skeptisch, dass der Gender-Stern auch mit einer Erklärung und Einführung gut verstanden wird. Und darum geht es ja bei Leichter Sprache: Texte für alle Menschen gut verständlich zu machen.
Beim Gendern beliebt: Substantivierte Partizipien
Eine beliebte Gender-Strategie sind substantivierte Partizipien. Denn sie verlängern den Text nicht und schließen alle Geschlechter ein. Was in Durchschnittstexten oft eine elegante Lösung ist, ist in Leichter Sprache leider ein Stolperstein.
Ein Beispiel:
- Die Bewohner feiern am Samstag Geburtstag.
Gegendert könnte man schreiben:
- Die Bewohnenden feiern am Samstag Geburtstag.
„Bewohner“ ist ein Begriff, der Menschen mit geistiger Behinderung sehr geläufig ist, da er in ihrem Alltag häufig auftaucht.
Silke Gummersbach erzählt dazu eine Anekdote aus ihrer Prüfgruppe für Leichte Sprache: „Bei einer Prüfung sagte mir ein Prüfer, dass ich das Wort Bewohner falsch geschrieben habe. Es seien zu viele Buchstaben. Tatsächlich hatte ich im Text Bewohnende geschrieben. Und die Prüfer sagten dazu nur: ‚Was soll der Blödsinn? Das versteht doch keiner.‘“
Eine klare Stimme gegen substantivierte Partizipien also aus der Zielgruppe. Silke Gummersbach hat sich deshalb auch gegen die Verwendung dieser Gender-Strategie entschieden. In Leichter Sprache Gendern funktioniert mit substantivierten Partizipien also nicht.
Leichte Sprache und Beidnennung
Eine häufig genutzte Gender-Strategie ist die Beidnennung. Die gibt es in der Langform „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ oder in verschiedenen abgekürzten Varianten:
- MitarbeiterInnen
- Mitarbeiter/-innen
- Mitarbeiter(-innen)
Auch die Sonderzeichen sind eine Form der abgekürzten Beidnennung. Hier sind sie jedoch mehr als das, weil sie zusätzlich auch Menschen ansprechen, die sich nicht als Mann oder Frau definieren.
Die abgekürzten Beidnennungen sind für Leichte Sprache nicht zu empfehlen, da die vielen Extrazeichen und die ungewohnte Unterbrechung des Wortes Lesende irritieren.
Eine Doppelnennung ist da schon eher möglich. Allerdings verlängert diese den Text. Und eine Grundregel der Leichten Sprache ist es ja, Wörter und Sätze möglichst kurz zu halten. Das passt also nicht gut zusammen.
Wie in Leichter Sprache gendern?
Und nun? Ist in Leichter Sprache gendern unmöglich? Nicht ganz.
Silke Gummersbach löst das Dilemma so: „Wir schreiben im Text meistens nur die männliche Form. Vor allem wenn ein Wort immer wieder vorkommt. Der Text wird einfach zu lang, wenn man immer Mitarbeiterin und Mitarbeiter schreibt. Wir weisen oft am Anfang des Textes darauf hin, dass wir nur die männliche Form benutzen, wir aber dennoch auch Frauen meinen.“
Das ist ein möglicher Kompromiss. Ein anderer ist es, auf Wörter auszuweichen, die gut verständlich sind und gleichzeitig alle Geschlechter meinen.
In Leichter Sprache gendern mit diesen Begriffen:
- Mensch
- Person
- Leute
- Team
- Mitglied
- Fan
Zugegeben ist es nicht immer möglich, auf solche Wörter auszuweichen. Deshalb bleibt zusätzlich noch die Chance, die Lesenden direkt anzusprechen. Statt in einem Formular zu schreiben: „Antragsteller unterschrieben hier“, könnte dort stehen: „Bitte unterschreiben Sie hier.“
In Leichter Sprache gendern mit 3 Strategien
In Leichter Sprache gendern ist also nur eingeschränkt möglich. Denn bei aller Befürwortung des Genderns sollte die Intention für Leichte Sprache nicht vergessen werden: Die Texte müssen verständlich sein. Leider erschweren die meisten Gender-Strategien das Verständnis aber für Menschen, die auf Leichte Sprache angewiesen sind. Drei Gender-Strategien, die wir anwenden können, sind:
- Hinweis am Anfang, dass alle mitgemeint sind
- Verwendung von neutralen Begriffen
- Direkte Anrede
Was sind Ihre Erfahrungen mit dem Gendern in Leichter Sprache? Verraten Sie es mir in einem Kommentar!