Warum Gendern wichtig ist

Die Duden-Redaktion hat zu Jahresbeginn beschlossen, in der Online-Ausgabe des gleichnamigen Nachschlagewerks künftig zu gendern. Seitdem rauscht es heftig im deutschen Blätterwald. In regionalen und überregionalen Zeitungen und Wochenblättern äußern sich nun Linguist*innen und Menschen mit meistens stark ausgeprägten Meinungen. Die Lager sind dabei gespalten. Und die Gräben dazwischen tief.

Mich hat die Heftigkeit der Reaktion im ersten Moment überrascht. Wieso ist dieses sprachwissenschaftliche Thema so emotional aufgeladen?

Gendern: Mehr als nur eine Mode

Beim zweiten Blick auf das Thema wird klar: Es geht eben nicht nur um Sprache als linguistisches Metier. Sprache ist sowohl ein Abbild unserer Wirklichkeit und formt umgekehrt auch wieder unsere Wahrnehmung. Insofern geht es beim Gendern um gesamtgesellschaftliche Fragen. Und das nicht zu knapp!

Frauen werden nicht mitgedacht

Beim sprachlichen Gendern wird auch gern von Geschlechtergerechtigkeit gesprochen. Denn mit neuen Sprachsitten sollen alle Geschlechter gleichermaßen in der Sprache sichtbar gemacht werden. Derzeit ist das noch nicht der Fall. Wir kennen alle diese Texte, in denen jeder Hinweis auf Personen im Maskulinum formuliert ist. Wenn es ein besserer Text ist, wird dann wenigstens darauf hingewiesen, dass Frauen mitgemeint sind. Linguistisch spricht man hier vom „generischen Maskulinum“.

Studien belegen allerdings unzweifelhaft, dass Frauen beim generischen Maskulinum nicht mitgedacht werden. Es verlangt Leser*innen also eine Abstraktion während des Leseflusses ab. Sie müssen sich daran erinnern, dass zwar ausschließlich Männer genannt werden. Dass aber auch Frauen gemeint sein könnten. Ob das im Einzelfall auch tatsächlich so ist, ist beim generischen Maskulinum oft unklar.

Genderstern: Ende der Geschlechterbinarität

Gendern will aber mehr, als Frauen sichtbar machen. Gendern will Geschlechtergerechtigkeit. Das heißt, es sollen alle Geschlechter sichtbar sein. Und das ist mit der Beschränkung auf Männer und Frauen nicht der Fall. Es gibt noch viele weitere Geschlechtsidentitäten. Manche Menschen fühlen sich ein Leben lang einem Geschlecht zugehörig, obwohl der Körper eine andere Identität nahelegt. Bei anderen Menschen verändert sich die Geschlechtsidentität und noch andere fühlen sich gänzlich geschlechtslos. All diesen Menschen möchte das Gendern Gerechtigkeit widerfahren lassen und sie in der Sprache sichtbar machen. Und zwar in einer Sprache, die eben nicht ausschließt und nicht zur Festlegung zwingt.

Das Gendern rüttelt damit an den Grundfesten vieler Menschen, in deren Weltbild kein Platz für mehr als zwei Geschlechter ist.

Gendern ist Respekt

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das ist Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Und dieser Satz ist gegendert. Zum Glück. Denn er sollte für alle Menschen gelten. Auch in der Sprache. Wir alle wissen: Sprache formt das Denken. Sprache schafft im weiteren Verlauf auch Fakten. Wenn Mädchen immer nur von Astronauten lesen, träumen sie seltener davon, selbst Astronautin zu werden. Lesen sie hingegen viel von Pflegerinnen und Lehrerinnen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen sozialen Beruf für sich in Betracht ziehen. Das belegen Studien. Wir sehen daran: Sprache schafft Fakten.

Wie muss es Menschen ergehen, die nie vorkommen in einem Satz? Die nie genannt werden? Die nicht gesehen werden? Ich finde, wir sind es allen Menschen schuldig zu gendern. Denn alle Menschen sollten mit Würde und Respekt behandelt werden. Auch in der Sprache.

Was sind Ihre Gedanken zum Gendern? Erzählen Sie es mir im Kommentar!

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15 comments on “Warum Gendern wichtig ist

  1. Das ist das Dilemma unserer Zeit: Es soll überall, immer und in jeder Hinsicht jede Richtung, Ausprägung, Variante usw. – und sei sie noch so “individuell” und mit der Lupe zu suchen – mit einbezogen werden, damit ja auch wirklich niemand benachteiligt ist.

    Wenn wir diesen Weg der verstärkten Anstrngungen, unsere Sprache so sperrig wie möglich zu machen, weitergehen, werden diejenigen, denen es heute schon zu kompliziert ist, eine einfache schriftliche Abfassung eines Themas so zu lesen, dass sie den Inhalt auch wirklich erfassen, immer mehr in die Arme der Vereinfacher getrieben. Meiner Meinung nach kann man einer Sprache nicht einfach per Ordre de Mufti ein paar Dinge überstülpen und dann hoffen, dass sie noch funktioniert.

    Nebenbei finde ich, dass beim Gendersternchen gerne mit zweierlei Maß gemessen wird: Es werden in der Regel nur Begriffe gegendert, die positiv oder wenigstens neutral besetzt sind, also Astronaut*innen, Wissenschaftler*innen, Politiker*innen, Moderator*innen. Wenn es aber um negativ besetzte Begriffe geht, liest man bei generischen Abhandlungen (also wenn es nicht um jemanden bestimmtes geht) nur “Diktatoren”, “Verbrecher”, “Betrüger”, “Raser”, “Gefährder”, “Terroristen” usw. Auch wenn dies in vielen Fällen männliche Exemplare sind: Wer A sagt, sollte auch B sagen können. Ein schöneres Beispiel für Rosinenpicken gibt es kaum.

    1. Da gebe ich Ihnen recht: Überstülpen sollte man in der Sprache nichts.

      Ich glaube aber, dass das auch nicht funktioniert. Denn Sprache ist lebendig und entwickelt sich stetig. Es setzt sich mit der Zeit einfach durch, was die Mehrheit der Sprechenden verwendet. Eine ganz demokratische Entwicklung also.

      Der deutsche Rechtschreibrat als höchste Instanz für die amtlichen Regelungen des Deutschen beschließt deshalb immer erst nach einiger Zeit, ob etwas ins Regelwerk aufgenommen werden soll oder nicht. Ebenso handhabt das der Duden.

      Deshalb teile ich Ihre Sorge nicht, dass etwas übergestülpt wird. Wir alle haben es ja in der Hand, die Sprache zu gestalten. Wie es bei Mehrheitsentscheidungen meistens ist: Nicht alle werden mit dem Ergebnis zufrieden sein.

      1. Ich gebe Ihnen Recht: “Meiner Meinung nach kann man einer Sprache nicht einfach per Ordre de Mufti ein paar Dinge überstülpen und dann hoffen, dass sie noch funktioniert.”
        Sprachwandel vollzieht sich organisch mit der Gesellschaft und integriert Veränderungen, die in einer Sprache funktionieren und die von vielen Menschen akzeptiert werden.
        Das scheint bei gendergerechter Sprache der Fall zu sein. Vor allem junge Menschen fordern mehr Inklusivität aller Menschen in der Sprache ein.
        Das Problem des generischen Maskulinums: Es ist mehrdeutig. Die Täterin hat drei Lokalpolitiker angegriffen. Hatte es die Frau auf Männer abgesehen oder auf Politiker*innen jeden Geschlechts? Wir wissen es nicht.
        Gleichzeitig stellt sich ein Hirn im Deutschmodus signifikant häufiger ein männliches Wesen vor. Logisch, denn in der deutschen Sprachtradition gibt es unterschiedliche Wörter für Männer und Frauen. Die psycholinguistische Forschung ist hier eindeutig.
        Ob ein gendergerechter Text lesbar und verständlich ist oder nicht, hängt von den gleichen Kriterien ab, wie ob ein Text lesbar und verständlich ist: von gutem Stil.
        Uns selbstverständlich gilt Gendern für alle Begriffe mit einer Gendermarkierung, also gleichermaßen für Ärzt*innen, Vorstandsmitglieder, Assistenztätigkeiten, Reiningungspersonal wie für Täter*innen oder Terrorist*innen. // Mitglieder, Opfer, Personen, Kinder, Eltern, Menschen sind genderneutral.

  2. Ein vermeintlich „geschlechtergerechter“ Sprachgebrauch bedient sich verschiedener Formen: neben Begriffsdoppelungen von männlichen und weiblichen Bezeichnungen kommen Verlaufsformen, Binnen-Is, Unterstriche und der sog. „Genderstern“ zum Einsatz. Die Folge ist, dass „gegenderte“ Texte oftmals grammatikalisch fehlerhaft und schwer bis überhaupt nicht verständlich sind. Also ein Albtraum für jeden Sprachliebhaber.

    „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Artikel 1 unseres Grundgesetzes ist gerade nicht „gegendert“, sondern ein einfacher, kraftvoller und durch keinerlei Gendern verstellter Aussagesatz. Und selbstverständlich gilt er für alle Menschen. Dass es dennoch immer wieder zu Verletzungen der Würde von Menschen kommt, liegt nicht an einem Mangel an gegenderter Sprache, sondern an einem Mangel an Werten und gegenseitigem Respekt als Mitmensch.

    1. Die nennen einige Strategien des Genderns in der Sprache (Binnen-I, Genderstern etc.). Das sind jedoch beileibe nicht alle.

      Es ist möglich, elegant und kurz zu schreiben, ohne dabei das Gendern zu vernachlässigen.

      Ein schönes Beispiel dafür ist Artikel 1 des Grundgesetzes. Dieser Satz ist sehr wohl gegendert, denn der Begriff Mensch umfasst alle Vertreter dieser Spezies, unabhängig von individuellen Besonderheiten. Wer so gendert, kommt gänzlich ohne Genderstern oder andere Genderstrategien aus.

      1. Nimmt man das Gendern ernst, ist es unmöglich, elegant und kurz auch lange und komplexe Texte zu verfassen oder Gedankengänge aufzufalten, wenn man auf Stil und Lesbarkeit achtet und nicht darauf, irgend jemanden “mitzumeinen”. Das betrifft auch kürzere Sätzen, wie den folgenden, der nur in seiner nicht gegenderten Form kurz, klar und elegant ist:

        Ich bitte um Zusendung eines einzigen, sprachlich gelungenen “gegenderten” Textes, bei dem die Aufmerksamkeit des Lesers NICHT durch die Form der Aussage von dem Inhalt des Gesagten abgelenkt wird.

        1. Sie schreiben “Nimmt man das Gendern ernst, ist es unmöglich, elegant und kurz auch lange und komplexe Texte zu verfassen oder Gedankengänge aufzufalten, wenn man auf Stil und Lesbarkeit achtet und nicht darauf, irgend jemanden ‘mitzumeinen’.”
          Natürlich ist das möglich. Viele Textschaffende tun das tagtäglich. Mal mit Sternchen, mal mit Doppelpunkt, ganz häufig aber – meine liebste Variante – durch geschicktes Formulieren.

          Ich weiß, es gibt immer Menschen, denen es am liebsten wäre, alles bliebe beim Alten. Aber die Welt verändert sich, Gesellschaften entwickeln sich weiter – dem Himmel sei dank. (Gemerkt? Weder “Gott” noch “Göttin”. 😉 ) Heute, im Zeitalter der Information und Digitalisierung, vollzieht sich der Wandel schneller denn je.

          Wer weiß, vielleicht werden sich mit den Jahren noch ganz andere Lösungen für diese Fragen herauskristallisieren. Bis dahin finde ich die jetzigen sehr pragmatisch. Denn eines ist gewiss: Was (und wie) wir sagen und schreiben, beeinflusst unser Denken und Handeln.

        2. Ihren Beispielsatz kann ich ohne Verlängerung, ja ohne große Veränderung so gendern:

          „Ich bitte um Zusendung eines einzigen, sprachlich gelungenen gegenderten Textes, bei dem die Aufmerksamkeit der Lesenden NICHT durch die Form der Aussage vom Inhalt des Gesagten abgelenkt wird.

        3. Sehr geehrte Frau Scheffer, ich lade Sie ein, Ihre These an der Wirklichkeit zu prüfen. In meinem Blog finden Sie lange Artikel, die auch ziemlich komplexe Fragen abhandeln, gendersensibel und lesefreundlich formuliert.

        4. Hmm, Frau Scheffer, zeigt Ihr erster Satz nicht, dass „Stil und Lesbarkeit“ manchmal ganz ohne Gendern leiden? Niemand zwingt uns, aber ich finde hier ganz brauchbare Tipps …

  3. Ein guter Beitrag zum Gendern, der deutlich macht, dass Gendern mehr ist, als den “Genderstern” zu benutzen. Gendern ist auch eine wertschätzende Haltung, die sprachlich alle Menschen einschließt oder es zumindest versucht. Das hat nichts mit Ideologie zu tun, eher mit Respekt und Achtung. Deshalb finde ich auch das Grundgesetz-Beispiel sehr gut.
    Außerdem braucht man zum Gendern nicht zwingend den Genderstern, siehe “die Würde des Menschen”. Unsere schöne Sprache gibt uns viele Möglichkeiten an die Hand: Team statt Mitarbeiter etc. (ja, ich weiß, dass das Wort Team aus dem Englischen stammt. Aber so ist es mit der Sprache, sie lebt und entwickelt sich weiter – zum Glück). Manchmal muss man sich etwas um sprachliche Gerechtigkeit bemühen, meist klappt es, wenn man möchte.

  4. Schöner und wichtiger Artikel – ich begrüße den Schritt des Dudens sehr!
    Und aus eigener Erfahrung weiß ich: Gendern ist nicht nur wichtig, Gendern ist auch eine Frage der Gewöhnung. Sprache verändert sich, das hat sie schon immer getan und das wird sie immer tun. Was uns vor fünf Jahren noch exotisch erschien, ist heute schon auf dem Weg zum Standard. Und deshalb bin ich sicher, dass wir in zehn Jahren Texte ohne Gender-Sternchen, -Doppelpunkte oder sonstige Wege, alle Geschlechter sprachlich mitzudenken, genauso ungewohnt finden werden wie heute Texte in alter Rechtschreibung, in denen “dass” noch “daß” geschrieben wurde. Und das ist gut so, denn das ist ein wichtiges Puzzlestück im Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit – auch außerhalb der Sprache.

    1. Wichtiger Punkt, der mit der Gewöhnung. Das alles wird in die Sozialisierung einfließen. Ich höre und lese in letzter Zeit zunehmend von Leuten, deren Kinder sich daran stören, wenn nicht gegendert wird. In 20 Jahren wird sich niemand mehr über das Thema echauffieren.

    2. Ähem! Inzwischen habe ich mit etwas mehr mit diesem Thema beschäftigt. Mein Resümee ist: Gendern ist, wie man in meinem Heimatidiom sagt, nichts anderes als ein “Kasperlestheater”. Es zeigt im Endeffekt nur ein weiteres Mal, wie weit unsere Gesellschaft inzwischen verpeilt bzw. verstrahlt ist. Der Abbau des gesunden Menschenverstandes, der in den Neunziger Jahren mild begonnen hat, ist inzwischen von einem langsamen Sinkflug in einen rasanten Sturzflug übergegangen. Das sieht man neben dem Genderwahn an allen Auswüchsen bei den Auf-Teufel-komm-raus-Stigmatisierungen in den Bereichen Sexismus, Rassimus, Diskriminierung usw.

      Notabene: Dies ist ein Kommentar von einem “alten weißen Mann”, also einem von denjenigen, die nach heutiger Diktion sowieso an allem schuld sind – der aber trotzdem jeder Frau den ihr gebührenden Respekt zukommen lässt – aber darum geht’s ja gar nicht. Es geht um ein zwangweises Reinwürgen bestimmter ideologischer Verwirrungen.

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