Fachtexte lektorieren in 10 Schritten

Fachtexte lektorieren funktioniert anders, als Romane überarbeiten. Worauf es ganz besonders ankommt, beschreibe ich in diesem Blog-Beitrag. Ich erhebe hier keinen Anspruch auf Vollständigkeit, denn jeder Text und jedes Thema ist anders und braucht andere Dinge. Und selbstverständlich gehören korrekte Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik immer dazu. Das versteht sich von selbst. Nun also: Was sind die Top 10 des Lektorats von Fachtexten?

1. Inhaltliche Richtigkeit

Fangen wir gleich mit dem kontroversesten Punkt an: der inhaltlichen Richtigkeit. Ich als Lektorin bin NICHT verantwortlich dafür, dass im Text die Fakten stimmen. Das ist Aufgabe der Autorin oder des Autors. Anders ist das auch kaum möglich, denn in der Regel werden Fachtexte von Fachleuten für ein Thema geschrieben. Die sind besser informiert als ich, und das ist auch völlig in Ordnung. Was ich im Lektorat aber prüfen kann, sind einheitliche Aussagen und übereinstimmende Fakten. Wenn vorne steht, dass 12 Prozent aller Grundschüler*innen Spaghetti mit Tomatensoße als Lieblingsessen haben, dann sollten es weiter hinten nicht 18 Prozent sein.

Zusätzlich verfügen Lektor*innen meistens über eine recht gute Allgemeinbildung. Es könnte also sein, dass mir selbst zu einem Fachthema schon mal etwas untergekommen ist. Wenn mir mit meinem Halbwissen Zweifel an der Aussage im Text kommen, dann muss ich noch nicht einmal nachrecherchieren. Ich kann einfach einen freundlichen Kommentar danebensetzen, der sehr höflich darum bittet, eine bestimmte Aussage vorsichtshalber noch einmal zu prüfen. Viel weiter sollte die inhaltliche Prüfung nicht gehen. Weniger sollte es aber auch nicht sein.

2. Kohärenz und Logik

Kohärenz ist der sinnvolle Zusammenhang der Wörter im Satz und der Sätze im Text. Auf den Inhalt des ganzen Textes bezogen sprechen wir von Logik. Um das zu überprüfen, müssen wir noch nicht einmal vom Fach sein. Da können wir die Grundprinzipien der Aussagen- und Prädikatenlogik anwenden. Ach, und meine Eltern fanden damals, mein Philosophiestudium sei brotlose Kunst. Wenn die wüssten!

Im Lektorat prüfen wir beim Lesen, ob eine Aussage logisch aus den vorher genannten Prämissen folgt. Wir können feststellen, ob wir den Text ohne zu stolpern sofort verstehen oder ob wir Gedankensprünge finden. Falls das so ist, fehlt etwas. Darauf weisen wir dann hin, damit ein roter Faden entsteht und alles einen Sinnzusammenhang ergibt. Notfalls muss sogar die gesamte Gliederung eines Textes auf den Kopf gestellt werden, wenn es dem Verständnis und der Logik dient. Das sind tiefe Eingriffe, aber genau dafür gibt es das Lektorat.

3. Wiederholungen

Es ist ermüdend, dieselbe Information immer wieder zu lesen. Gerade bei Kernaussagen tappen viele Fachleute jedoch in diese Schreibfalle: Sie sagen dasselbe immer wieder, manchmal in anderen Worten, manchmal nicht. Hier sind Lektor*innen gefragt! Wichtige Dinge dürfen durchaus mal wiederholt werden, aber mit Augenmaß und an der richtigen – nämlich relevanten – Stelle. Wenn beispielsweise aus einer Prämisse eine These abgeleitet wird, muss ich diese Prämisse nicht dauernd wiederholen. Wenn ich aber zu der Textstelle komme, an der die Kernthese entwickelt wird, kann es sinnvoll sein, die Prämisse zur Erinnerung noch einmal zu nennen. An allen überflüssigen Stellen: Mut zum Streichen!

4. Zielgruppenorientierung

Wenn Sie Fachtexte lektorieren, sollte klar sein, an wen sich der Text richtet. Das gilt übrigens auch für alle anderen Texte. Bei Fachtexten ist die Frage: Sind es Anfänger*innen oder Fortgeschrittene? Sind es Fachleute oder Fachfremde? Sind es Kinder oder Erwachsene? Die Antworten auf diese Fragen beeinflussen maßgeblich die Ausdrucksweise, aber auch die Wahl der Inhalte. Grundsätzlich kann nämlich so gut wie jedes Thema für jedes Alter aufbereitet werden. Nötig sind nur unterschiedlich viele Informationen, verschiedene Arten von Information und natürlich ganz verschiedene Arten von Ausdruck. Wenn Sie Fachtexte lektorieren, sollten Sie das also unbedingt im Blick behalten und den Text entsprechend überarbeiten.

5. Fachbegriffe

Terminologie gehört zur Wissenschaft. Manche treiben es aber ein wenig bunt. Wenn Fachbegriffe falsch verwendet werden, schreite ich im Lektorat ein. Das ist aber nicht das einzige Szenario. Wenn ich den Eindruck habe, dass es gut verständliche deutsche Ausdrücke genauso tun und der Lesbarkeit sogar förderlich sind, dann ersetze ich komplizierte Fremdwörter. Bei meiner Entscheidung achte ich aber immer darauf, wer die Zielgruppe ist (siehe oben). Bei Laien sollten Fachbegriffe erst erklärend eingeführt werden, bei Fachleuten ist das überflüssig. Bei manchen Texten wird eventuell die Verwendung bestimmter Terminologie erwartet. Das gehört dann zu den Lesegewohnheiten. Wenn wir Fachtexte lektorieren, dürfen wir das auch mal hinterfragen, völlig auf den Kopf stellen würde ich solche Gepflogenheiten aber nicht.

6. Sprachliche Klarheit

Vorsicht bei Synonymen in Fachtexten! Wenn in einer Bedienungsanleitung mal vom Schalter, mal vom Knopf und mal vom Taster gesprochen wird, kann das für Verwirrung sorgen. Wer Fachtexte lektorieren will, muss hier besonders gut aufpassen. Manchmal tut der beliebte Nominalstil ein Übriges, Klarheit zu zerstören. Doch dazu unten mehr.

7. Stil

Auch wenn wir Fachtexte lektorieren, gehört das Verbessern des Stils mit dazu. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Mich ermüdet Nominalstil. Nominalstil tötet in mir allen Lebenswillen ab und ich gehe beim Lesen ein wie eine Primel. Ich finde diese abstrakte, verklausulierte Ausdrucksweise ganz schrecklich.

Leider ist Nominalstil gerade in Fachtexten weitverbreitet. Manche glauben sogar, er müsse sein. Das ist nicht so! Fachtexte können lebendig geschrieben, interessant und abwechslungsreich sein. Und dabei bleiben sie hochwissenschaftlich und sehr seriös. Mein Appell deshalb an Sie: Wagen Sie es! Wenn Sie das nächste Mal Fachtexte lektorieren, dann sagen Sie dem Nominalstil den Kampf an!

8. Formale Aspekte

Eine Besonderheit des wissenschaftlichen Schreibens sind die vielen formalen Aspekte. Meist existieren Vorgaben, die Sie notfalls auch erfragen können. Dazu gehören Zitierweisen, bestimmte Formatierungen, Vorgaben für Fußnoten, Verzeichnisse, Anhänge, Quellen und vieles mehr. Unterschätzen Sie den Aufwand nicht! Das Kleingedruckte kann ganz schön viel Arbeit machen, wenn Sie Fachtexte lektorieren.

9. Abstracts

Eine weitere Besonderheit wissenschaftlicher Texte sind Abstracts. Nicht alle Fachtexte benötigen solche Kurzzusammenfassungen. Falls sie aber mitgeliefert werden, ist es die Aufgabe des Lektorats, die Sinnhaftigkeit zu prüfen. Ein gutes Abstract fasst die wichtigsten Aussagen des Fachtextes prägnant und verständlich zusammen. Dabei wird gleichzeitig das Interesse geweckt, damit das Publikum Lust auf die Langform bekommt. Nicht einfach!

10. Plagiatsprüfung

Wir haben mit einem kontroversen Punkt begonnen und so enden wir auch mit einem umstrittenen Punkt: der Plagiatsprüfung. Ich habe eine klare Haltung: Ich biete sie nicht an. Meines Erachtens sollte wissenschaftliches Arbeiten beherrschen, wer wissenschaftlich schreibt. Es geht da ja vor allem um versehentlich nicht als Zitat ausgewiesene Textpassagen. Wer wissenschaftlich schreiben beziehungsweise zitieren kann, braucht meines Erachtens keine Plagiatsprüfung. Es steht aber natürlich allen frei, sich selbst dazu zu positionieren. Vielleicht gibt es auch gute Gründe für eine Plagiatsprüfung, die mir nur noch nicht bekannt sind. Ich bin durchaus interessiert, die zu erfahren! So oder so: Die Plagiatsprüfung kann dazugehören, wenn Sie Fachtexte lektorieren.

Es gehört also einiges Know-how dazu, wenn Sie Fachtexte lektorieren wollen. Vor allem unterscheidet sich diese Arbeit stark vom Lektorat anderer Textsorten.

Übrigens: Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, wie Sie Texte redigieren können, ist dieser Workshop bestimmt interessant für Sie: „Gekonnt redigieren: Mit Stil zum guten Text“. Hier gehe ich insbesondere auf Stilfragen ein und auch der Nominalstil bekommt ausführlich sein Fett weg. Der nächste Termin ist schon im April!

Worauf achten Sie ganz besonders, wenn Sie Fachtexte lektorieren? Verraten Sie es mir im Kommentar!

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2 comments on “Fachtexte lektorieren in 10 Schritten

  1. Tolle Auflistung, liebe Henrike. Für mich ist der wichtigste Punkt der vierte: die Zielgruppenpassung. Inhaltliche Tiefe, Argumentation, Sprache – all das ist abhängig davon, an welche Adressaten und Adressatinnen sich der Text richtet.

    Liebe Grüße
    Cordula

    1. Vielen Dank für die Blumen! Die Zielgruppe im Text nicht aus dem Blick verlieren – das finde ich auch zentral. Beim Schreiben passiert das leicht mal. Da wird der Fokus dann eher darauf gelegt, was die Autorin oder der Autor sagen möchte. Dabei wird nicht immer berücksichtigt, ob das für die Zielgruppe auch interessant ist. Aber dafür gibt es ja zum Glück das Lektorat. 😉

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