Es ist eine echte Kernkompetenz: Feedback im Lektorat. Immerhin werden Lektor*innen ja genau wegen ihres scharfen Auges gebucht. Sie sollen ihr Fachwissen auf den Text anwenden, damit er hinterher besser ist. Die Kundschaft kommt also ins Lektorat, um freiwillig kritisiert zu werden. Mehr noch: Sie bezahlt sogar dafür!
Alles paletti also? Mitnichten. Kein Mensch wird gern kritisiert. Selbst wenn wir also freiwillig nach einer Beurteilung fragen, erwarten wir sie dann doch ein wenig nervös und in der leisen Hoffnung, es möge Positives überwiegen. Manche Menschen gehen sicher souveräner mit Kritik um als andere, in der Sache sind sich da aber wohl alle ähnlich.
Worauf es ankommt
Beim Feedback im Lektorat ist es wichtig, das Ziel im Blick zu behalten: Der Text soll besser werden. Dabei hilft es schon mal, eine bestimmte Grundhaltung einzunehmen. Bei mir lautet die in etwa so:
- Respekt vor dem Text: Es gehört einiges dazu, einen Text zu schreiben und ihn dann auch noch fertigzustellen. Das allein ist bereits eine Leistung.
- Respekt vor den Autor*innen: Als Lektorin bin ich Hebamme des Textes. Ich bin Geburtshelferin, aber nicht Mutter. Mein Geschmack und meine Vorstellungen müssen nicht getroffen werden. Es geht darum, ob der Text grundsätzlich funktioniert und bestmöglich erreicht, was er erreichen will.
- Ehrlich sein: Es ist nichts gewonnen, wenn ich Mängel so verpacke, dass sie kaum noch als Mangel verstanden werden. Wenn etwas nicht ausreichend ist, muss ich das formulieren, auch wenn das unangenehm ist. Wie ich das tue, ist dann die Kunst. Dazu unten mehr.
- Nachvollziehbar sein: Um den Text zu überarbeiten, müssen die Autor*innen verstehen, was ich kritisiere und worin genau der Mangel besteht. Ich muss also Erklärungen geben.
7 Tipps für Feedback im Lektorat
Mit dieser Grundhaltung ausgerüstet, kann die konstruktive Kritik beginnen. Doch wie vorgehen? Ich möchte die Autor*innen ja nicht entmutigen. Gleichzeitig bin ich als Expertin gebucht und werde für meine professionelle Beurteilung bezahlt. Ich fahre in meiner Praxis mit den folgenden sieben Strategien ganz gut:
- Das Positive betonen: Ich finde immer einen Aspekt, der gelungen ist. Mit ein bisschen gutem Willen gelingt das selbst bei nicht so guten Texten. Damit beginne ich dann mein Feedback im Lektorat. Zum Beispiel könnte ich schreiben: Sie haben es toll geschafft, Atmosphäre herzustellen. Über die Landschaftsbeschreibung ziehen sie die Leser*innen direkt in die Geschichte hinein.
2. Konkret sein: Was in der Psychologie gilt, gilt auch im Lektorat: Vermeide Verallgemeinerungen. Mit denen können wir selten arbeiten, aber sie verunsichern oder verletzen sogar. Es ist also extrem wichtig, ganz genau zu sagen, was an welcher Stelle nicht passt. Zum Beispiel mit der Kommentarfunktion an einer konkreten Textstelle: Diese Passage ist wenig anschaulich und beschränkt sich auf die Theorie. Es wäre gut, wenn Sie ein konkretes Beispiel oder einen Anwendungsfall schildern könnten. So wird die Aussage nachvollziehbarer.
3. Die Sandwich-Methode nutzen: Die Sandwich-Methode kennen Sie bestimmt: Sie verpacken Kritik, indem Sie jeweils mit einem Lob beginnen und enden. Obwohl das leicht zu durchschauen ist, wirkt dieses Vorgehen. Menschen sind manchmal nicht sehr kompliziert. 😉 So ein Feedback im Lektorat könnte so lauten: Die Figurenzeichnung ist insgesamt überzeugend. Allerdings sind die Dialoge noch nicht ganz lebensecht. Sie treiben aber die Handlung voran, was gut gelungen ist.
4. Vorschläge machen: Beim Feedback im Lektorat vermeide ich grundsätzlich Anweisungen. Es ist ja nicht mein Text, ich bewege mich als erste Leserin im Hintergrund. Stattdessen mache ich Vorschläge, wie aus meiner Sicht etwas verbessert werden könnte. Manchmal formuliere ich einen Vorschlag sogar als Frage, um noch etwas zurückhaltender aufzutreten, wenn mir das notwendig erscheint. Das klingt dann in etwa so: Das Phänomen selbst ist nicht ganz neu. Vielleicht könnten Sie es aus einer anderen Perspektive schildern? Zum Beispiel aus der Perspektive des xy. So würden Sie einen überraschenden Effekt erzielen.
5. Der Ton macht die Musik: völlig klar und nicht neu, trotzdem immens wichtig. Es kommt nicht nur darauf an, was wir sagen, sondern auch darauf, wie wir es sagen. Ich achte bei meinem Feedback im Lektorat stets sehr darauf, dass ich von der Wirkung auf mich spreche. Die Wirkung ist relevant, da ich ja nur eine von hoffentlich vielen weiteren Leserinnen bin. Gleichzeitig vermeide ich so Du-Botschaften, die bei heiklen Themen leicht verletzend wirken können. In einem Sachtext könnte das so lauten: Mir fällt auf, dass Sie gern Beispiele zur Veranschaulichung verwenden. Das ist prima und genau richtig. Allerdings habe ich manchmal Schwierigkeiten, diesen Beispielen zu folgen. Meines Erachtens liegt das daran, dass die Beispiele mitunter recht abstrakt sind (Beispiel nennen). Mir würde es helfen, Beispiele aus meiner Lebenswirklichkeit als Leserin zu bekommen. Die könnte ich intuitiv nachvollziehen. Was meinen Sie?
6. Immer auf der Sachebene bleiben: Das Feedback im Lektorat sollte stets auf der Sachebene bleiben und niemals persönlich werden. Alle Aussagen und Urteile sollten sich auf konkrete Textpassagen beziehen. Manchmal ist es nicht ganz leicht, das eine vom anderen zu trennen, da der Text ja stets ein Ausdruck der Persönlichkeit ist. Umso wichtiger ist es aber, nicht persönlich zu werden. Ein Beispiel: Der Gegenspieler in Ihrem Roman ist Möbeltischler. Ich finde es sehr wichtig, dass zu dieser Figur Hintergrund geliefert wird. Der Beruf und eine Szene am Arbeitsplatz sorgen für Lebendigkeit und machen die Figur anschaulich. Allerdings sind mir ein paar Ungereimtheiten aufgefallen (Beispiele nennen). Auch das Fachvokabular und bestimmte Arbeitsvorgänge scheinen nicht ganz zu stimmen. Ich selbst bin nicht vom Fach, bin aber darüber gestolpert. Bitte prüfen Sie das noch mal nach. Wenn Sie unsicher sind, wäre es auch überlegenswert, die Figur einen Beruf aus Ihrer persönlichen Lebenswelt ausüben zu lassen. Es könnte auch ein Hobby sein, wenn Ihnen das interessanter erscheint.
7. Alternativen vorschlagen: Sie sehen schon: Manchmal wird das mit dem Feedback im Lektorat ziemlich ausufernd. Da kann es sinnvoll sein, statt langer Erklärungen einen Formulierungsvorschlag zu machen. So wird oft sofort klar, was gemeint ist. Zum Beispiel so: Der Nominalstil klingt etwas gestelzt. Verben würden das auflockern: Mit diesen Ergebnissen fällt es leichter, Entscheidungen zu treffen.
Ausgewogen bleiben
Feedback im Lektorat ist konstruktiv, wenn es den Menschen im Blick behält. Dabei sollten Sie natürlich auch sich selbst nicht vergessen. Es kann nämlich leicht ausufern, wenn wir jede einzelne Entscheidung wortreich begründen. Das kann nicht das Ziel sein. Es gehört also dazu abzuwägen, wann wir konstruktive Kritik üben. Ich halte es oft so, dass ich in einem Begleitschreiben Auffälligkeiten zusammenfasse und mein Vorgehen schildere. Dann muss ich nicht bei jeder einzelnen dieser Auffälligkeiten erklären, warum ich etwas verändere, weil das ja im Begleitschreiben steht.
Welche Tricks haben Sie für konstruktive Kritik? Verraten Sie es mir im Kommentar!
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